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Wonnegau trifft Wonnefrau feat. Ikarus

Der Wonnegau liegt im südlichen Rheinhessen, er ist eine bekannte Weinbauregion und gilt wegen seines milden Klimas als "Toskana Rheinhessens". Mein Geburtsort Abenheim (heute ein Stadtteil von Worms), in dem ich auch mehr als 20 Jahre gelebt habe, liegt mittendrin.  Vor rund 40 Jahren hat es mich dann berufsbedingt in die "kalte" Rhön verschlagen, die ich aber inzwischen sehr liebe.

 

Dennoch zieht es mich immer wieder an meine Wurzeln zurück, auch wenn meine Eltern schon vor Jahren verstorben sind, leben in Abenheim immer noch meine beiden Brüder und liebe alte Freunde, die Grund genug für sporadische Besuche sind. So war ich am vergangenen Wochenende auch wieder mal dort. Natürlich zog es mich auch wieder in die Weinberge am Klausenberg, einer bekannten Weinlage. Gekrönt ist der Klausenberg von gotischen St. Michaelskapelle, die  viele Erinnerungen in mir weckt. Mein Großvater war Winzer und Küster, neben der Pfarrkirche betreute er auch diese alte Kapelle. In meiner Jugend habe ich ihm in den Weinbergen als auch bei seinem Küsterdienst sehr viel geholfen, ich habe ihn sehr gemocht in seiner ruhigen und genügsamen Art. Diese Kapelle habe ich so sehr genau kennengelernt, wie auch alle Arbeiten in den Weinbergen und im Weinkeller. Diese schönen Erinnerungen lassen mich sehr achtsam durch die Weinberge zur Kapelle wandern. 

 

Auf einer schattigen Bank vor der Kapelle kann dann mein Blick über das unter mir liegende Heimatdorf mit seiner stattlichen Barockkirche schweifen. Diese Kirche ist dem Hl. Bonifatius geweiht, der ja in Fulda, meiner heutigen Heimat, begraben ist. Abenheim gehörte in der Vergangenheit trotz der Entfernung von rund 200 km auch einige Jahre dem Kloster Fulda. Mein Vater hat vor vielen Jahren auf dem Dachboden der Pfarrkirche auch zwei alte Gemälde gefunden, die auf diese Verbindung zu Fulda zurückgehen. Diese alte Beziehung verbindet meine frühere Heimat mit meiner heutigen und macht mich immer wieder nachdenklich. 

 

Von der Michaelskapelle auf dem Klausenberg ausgehend hat sich in den vergangenen Jahren ein Skulpturenweg entwickelt, den ich jetzt zum ersten Mal gegangen bin. In den Weinbergen müssen im Herbst, wenn die Trauben reif werden, die großen immer wieder einfallenden Starenschwärme abgewehrt werden. Früher war das die Aufgabe der "Wingertschützen", für die vor rund 50 Jahren zur besseren Übersicht Plattformen auf hohen Stahlstützen errichtet wurden. Ich habe vor vielen Jahren diese Tätigkeit auch einmal selbst ausgeführt. Heute wird die Starenabwehr durch automatische Schusseinrichtungen durchgeführt, die Podeste auf den hohen Stahlrohren sind dadurch nutzlos geworden. Statt sie aber abzubauen, wurden auf einigen von ihnen Skulpturen angebracht wie z. B. die Wonnefrau, eine dralle Frauenfigur, für die der Künstler seine Großmutter als Vorbild genommen hat. Durch die beiden neuen  Skulpturen Dädalus und Ikarus wird auch die griechische Sagenwelt, aufgegriffen. Während Dädalus durch ein modernes Windspiel repräsentiert wird, ist bei Ikarus der abstürzende Sohn zu erkennen, der aus der Ferne fast wie ein Kreuz wirkt. Er, der den Rat des Vaters, nicht so hoch zu fliegen, weil dann die Sonne seine Flügel aus Wachs und Federn zerstören würde, nicht befolgt und abstürzte, macht bedächtig. Unser Immer-Höherstreben ist kein modernes Phänomen, sondern ein altbekanntes, das sowohl in der Geschichte als auch heute nicht dem Wohl der Menschen dient. Ich merke immer wieder, dass die Achtsamkeit mich darauf aufmerksam macht und mich auch davor warnt.

 

Auch die Fotografie ist bei dieser achtsamen Wanderung nicht zu kurz gekommen, die Michaelskapelle, die Skulpturen, aber auch die Weinberge schenkten mir sehr viele Motive. Gerade die Weinberge, die früher zum meinem Alltag gehörten, sind heute für mich fast etwas Exotisches. Die z. T. sehr alten knorrigen Weinstöcke, die entfernt an alte Olivenstämme erinnern, die großen Weinblätter im Gegenlicht, das weite Grün der geordneten Reihen von Weinstöcken, die schon recht großen Trauben bieten Motive ohne Ende und wecken so viele Erinnerungen.  Diese Wanderung hat für mich mal wieder Fotografie und Achtsamkeit sehr eng verbunden. 

 

P.S.: Das heutige Bild zeigt eine weitere Skulptur: Die Turmspringerinnen, die in das Weinbergmeer eintauchen. Hier ist sehr gut das Podest für die "Wingertschützen auf den Stahlrohren zu erkennen. Wenn dich dieser Skulpturenweg interessiert, dann lässt sich hier ein informatives Faltbaltt herunterladen: https://www.worms-erleben.de/erleben-wAssets/docs/aktiv/Skulpturenweg-Abenheim.pdf